Wenn wir heute an ein Tango tanzendes Pärchen denken, denken wir zunächst an Netzstrümpfe, Strumpfhosen mit Naht, hohe schicke Schuhe und hoch geschlitzte Kleider mit Spitze oder Fransen. Bei den Männern gut sitzende Anzüge, Schwarz-Weiß gemusterte Budapester und vielleicht sogar an einen Hut. (Wie in den Gangsterfilmen)
So unsere Vorstellung.
Auf den heutigen Milongas sieht man so was nur selten. Es werden bei den Frauen sogar umgekrempelte Hosen getragen, Haremshosen, Pumphosen oder geschlitzte Hosen.
Hier wage ich zu behauten, das dass die Überlebensstrategie des Schlitzes im Tangokleid/-Rock ist! Er schleicht sich einfach in die emanzipierten Hosenmoden ein! Damit wird die maskuline Hose
wieder feminin!
Was ist Feminin? Alles, was wir uns an einem Mann nicht vorstellen können, aber sehr wohl bei Frauen. Leichte durchsichtige Stoffe wie Chiffon sind feminin. Anschmiegsame Stoffe sind feminin.
Alles, was eine Sanduhr-Silhouette formen kann ist feminin. Spitze, Pailletten, Perlen, Kleider, Röcke (mal abgesehen vom
Kilt)
Was macht ein Tangokleid jetzt aber zum Tangokleid und einen Tangorock zum Tangorock?
Heute richtet sich die Tangomode zunächst einmal nach den Bedürfnissen des Tänzers! Nicht nach der Etikette. Es ist auf der Milonga egal, wo man her kommt, wie viel man verdient, wie alt man ist.
Tango erfordert zunächst einmal eine möglichst hohe Beweglichkeit des eigenen Körpers. Es geht beim argentinischen Tango natürlich viel um richtiges "gehen" aber auch viel um "Torsionen". Die verlangen dem Tangotänzer eine hohe Beweglichkeit in der Mittelpositur ab. Die Wirbelsäule wird dabei nach links und rechts gedreht. Man dreht sich quasi um, während das Becken weiter geradeaus oder in die entgegengesetzte Richtung ausgerichtet ist.
Das Bedeutet dass das Hemd, das Top oder das Kleid diese Verdrehung zulassen sollte. Ist das Bekleidungsstück zu eng, spannt es! Eine Korsage ist zwar sehr feminin (da war es wieder) aber hinderlich.
Natürlich geht es auch um Gleichgewicht und um ein ausgezeichnetes eigenes Körpergefühl und um ein möglichst gutes Körpergefühl für den anderen Körper mit dem man tanzt. Das sind aber die "soft
skills". Die Frau kann Boleos in verschiedene Richtungen und Höhen machen. Die führt natürlich der Mann! Das Gebot des folgenden Parts besteht darin stabil auf seinem Standbein zu stehen und das
Spielbein möglichst locker dem führenden Part zu überlassen. Befinde ich mich nun in einer engen, nicht elastischen Hose oder einem eng geschnittenen Rock, so kann der Mann führen wo viel er
will, das Bein steht ihm nur eingeschränkt zur Verfügung.
Das hört sich schon ein wenig nach Gymnastikübungen an.
Tangomode sollte also zunächst einmal
Und da stoßen wir Damen an unser erstes Problem:
WER hat schon eine Konfektionsfigur (so, wie es in der Tabelle steht)?
Ich beglückwünsche alle Frauen, die jedes mal beim Stadtbummel in der Ankleide stehen und sich nicht entscheiden können, weil alles gut aussieht (weil es sitzt!)
Alle anderen müssten zum Schneider gehen. Der muss allerdings erst mal den Schnitt entwerfen! Den Stoff aussuchen gehen, erst mal eine Probe aus Nesselstoff nähen, damit Änderungen bei der ersten
Anprobe auf den Stoff übertragen werden. Die werden auf den Schnitt übertragen und davon das Kleidungsstück genäht.
Dann die nächste Anprobe... hier und da noch ein paar Änderungen, um den Sitz zu perfektionieren und ENDLICH hat man ein gut sitzendes Einzelstück, auf das man stolz sein kann! Es sieht immer gut aus, da es auf den Körper genäht wurde!
Das sollte dem Träger dann auch der Preis wert sein.... in Zeiten unserer H&M-Mentalität nicht mehr denkbar.
Jetzt kann man seine Einstellung zu Kleidungskosten ändern oder sich das Nähen selbst bei bringen.
Tangomode wird man jedenfalls bei den gängigsten Modehäusern nicht finden.
Viele moderne Tangomodedesigner greifen zu elastischen Stoffen, da die erstens bequem sind und sich zweitens dem Körper anpassen! Man kann beim Kauf (vor allem über Internet) nicht viel falsch
machen.
Hat man nun etwas elastisches, gut sitzendes im Schrank, was aber zu 100 % aus Polyester besteht, stößt man bei der nächsten Milonga auf das nächste Problem.
Es ist warm! Das mit der Gymnastik erwähnte ich ja oben schon. Man beweg sich viel und so ein Raum wird verdammt schnell aufgewärmt. Es tanzen schließlich lauter Heizöfen über die Tanzfläche. Im Winter sind da die Fenster des Raums ganz schnell beschlagen und man selbst ist durch seine eigene Bewegung aufgewärmt, durch die des Tanzpartners und dann noch die Wärme des Raums!
Man wird nicht ums Schwitzen herum kommen!
Also sollte man Materialien wählen, die Schweiß freundliche sind und (da sie so oft gewaschen werden) pflegeleicht sind.
Seide verhält sich da nicht gerade kooperativ! Vielleicht noch eher als Rock, aber als Kleid eher zu besonderen Anlässen.
Ansonsten gibt es viele Jerseystoffe und Wolle (Baum- und Schurwolle) die den Schweiß ganz gut händeln und keinen Eigengeruch entwickeln.
Erstes Zwischenergebnis = Tangomode muss bequem sein und perfekt sitzen! Das erreicht man oft durch elastische Materialien - im Idealfall von guter Qualität.
Jetzt zum Exterieur: Wie sieht Tangomode aus?
Heute wird viel von folgendem und führenden Part gesprochen und nicht mehr von "Mann und Frau". Es gibt viele die auch den anderen Part beherrschen. Also führen und folgen können.
Die Wiege des Tango steht aber in Buenos Aires (und nur dort - im Hinterland wird meines Wissens kein/kaum Tango getanzt)
Als die Einwanderer in die Hafenstadt am Rio de la Plate landeten gab es deutlich mehr Männer, als Frauen. Jetzt wird das erste Klischee bedient. Tango und Bordell... "Der vertikale Ausdruck, horizontalen Verlangens" "Den guten Tangotänzer erkennt man am feuchten Knie" ect...
Aber Tango wurde auch als Salontango (Tango de Salón) in der Oberschicht getanzt.
Im Bordell wurde sicher viel gefunkelt und hoch geschlitzt getragen, ... aber in der Obersicht ging es züchtiger zu (für unsere heutige Zeit auch langweiliger/altbackener). Den Schlitz im Kleid oder Rock sieht man heute öfter mal hinten oder an der Seite. Das hat sich immerhin etabliert, wenn auch nur aus Bequemlichkeitsgründen (die Frauen mussten ja irgendwie einen Schritt machen können!)
Eins bleibt aber trotz der Auflockerung zu "Mann und Frau" "führender und folgender Part bestehen! In der Regel tanzen doch immer Mann und Frau miteinander. Es basiert viel (wenn nicht sogar alles) auf der konservativen Rollenverteilen. Der Mann führt und die Frau macht. (Manchmal auch was anderes, wenn er nicht klar führt oder sie ihn anders versteht oder sie einfach nicht will)
Wir tanzen nicht mit jemandem, den wir nicht mögen! Wir tanzen gerne mit Menschen, bei denen wir uns wohl fühlen, uns geborgen fühlen... vielleicht sogar angezogen fühlen. Wir tanzen eng! Es kann sogar intim sein mit jemandem zu tanzen. Eine Umarmung kann intensiv sein, oder einfach nur ein Schraubstock. Egal, ob wir Klassischen Tango oder Neo Tango (die sportliche Variante) tanzen. die Geschlechterrolle bleibt bestehen!
Tangomode für Frauen ist also feminin! Es gibt hübsche Muster, weich fließende Stoffe, Spitze, transparente Stoffe, Kleider und Röcke - Entweder geschlitzt oder weit geschlitzt,... vorne kürzer aber hinten etwas länger, Falten, Rüschen, Zipfel, drapierten Stoff, in der Regel figurbetont, von fröhlich bunt bis zu streng dunkel, gewickelt, geschnürt, rückenfrei, schulterfrei.... Alles, was wir uns eben NICHT an Männern vorstellen können. Feminine Schnitte eben, die die Weiblichkeit unterstreichen.
Bei Der Tangomode gibt es aber noch einen Clou neben dem Schlitz! Die Asymmetrie!
Oft ist Tangomode asymmetrisch! Der Rock ist links länger, als an der Seite, vorne kürzer als hinten, vielleicht nur auf einer Seite ausgestellt... nichts, was wir im Ladengeschäft finden! Vielleicht auf den Modenschauen der Haute Couture („gehobene Schneiderei“) und der Betrachter fragt sich, wer das bitte Tragen soll?! Es ist nun mal anders. Mode kann Kunst sein. Man muss sich darauf einlassen etwas "schiefes" zu tragen, was nicht dem herkömmlichen Schönheitsideal der Symmetrie entspricht. Man muss als Betrachter schon genau hinschauen um zu erfassen, was da auf dem Körper passiert. Es ist interessant, weil es erst mal nicht herkömmlich ist.
Ich denke dass viele sich darauf nicht einlassen möchten, man es daher nicht auf der Straße sieht, da es sich auch nicht verkauft und viele sich davon abgestoßen fühlen leben es die Tangueras auf der Tanzfläche aus.
Vielleicht liegt es aber auch daran, das für die breite Masse produziert wird und da heißt es "ein symmetrisches Kleidungsstück wird als attraktiver empfunden und daher eher gekauft - es sieht einfach akkurat aus" und es ist natürlich einfacher in der Herstellung!
Das ist also Tangomode. Die oberen Bilder sind aus meiner Kollektion und nur beispielhaft. Es gibt 1000 andere Bilder, von TOLLEN Tangomodellen und Tangomodedesignern im Internet.
Das man auf der Milonga tragen kann, WAS MAN WILL! Es juckt keinen, wie verrückt die Klamotten sind!
Mode ist die Haut der Seele... also drückt Euch aus!
Es geht dem Träger darum, dass sie gut sitzt, dass man sich wohl fühlt und schlussendlich darum seine Persönlichkeit zu unterstreichen:
Man trägt, was einem zusagt und was einem steht. Will man experimentieren ist DIES der beste Ort dafür.
Man muss keine Angst zu haben schief angeschaut zu werden. Beim Tango ist man NIE Overdressed!
Man zeigt, was man von sich hält und da der Tango von den Geschlechterrollen lebt, wirft man sich nun einmal in Schale!
Daher mein Appell an aller Anfänger und Anfängerinnen: Macht Euch Schick für eine Milonga oder kommt zumindest sauber gekleidet! Keine ausgeleierten T-Shirts, die wie ein Schlafanzug unmotiviert am Körper schlackert! Das Argument, dass man die Sachen eh durchgeschwitzt ist reine Faulheit und zeigt den anderen eigentlich nur, dass sie es ihm nicht wert sind, dass der Träger auch Wert auf SICH legt.
Ein No Go sind meiner Ansicht nach CARGOHOSEN! Sie haben oft Klettverschlüsse mit denen die Männer die feinen Stöffchen der Damenröcke oder Hosen kaputt machen.
Die Damen dürfen meiner Meinung nach die Jeans auch gerne zu Hause lassen und stattdessen in eine Tangohose oder einen Rock schlüpfen.
Zu Musik zu tanzen setzt nachgewiesen Glücksgefühle frei und Umarmungen bauen Stress ab. Gehe ich auf eine Milonga fühlt es sich für mich fast ein wenig an, als ginge ich zu einem Date. Der Tango und unsere Tanzpartner schenken uns an diesem Abend innerhalb ein paar Stunden so viel, da sollte man das feiern! Sich schick machen, für sich, für die anderen und sich wohl fühlen!
Als ich vor einigen Jahren mit dem Tangotanzen angefangen habe habe ich mir viele Tangovideos angeschaut und die schönen Tänzerinnen bewundert und ihre tollen Kleider! Also zog es mich in den Tango-mode-cosmos! Da die meisten Kleider eher einen Verkehrsunfall verursachen würden begann ich entschärfete Versionen für mich zu nähen. Schnell kamen Frauen auf mich zu und fragten, wo ich das her hätte und schon musste ich ein Gewerbe anmelden. Wer mehr über meine Mode erfahren will kann sich hier umschauen:
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